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Donnerstag, 12. Dezember 2024
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Seit nun mehr über 15 Jahren bestehen intensive Kontakte zwischen dem Russischen Chor der Universität Freiburg und Chören bzw. Folklore-Ensembles aus Irkutsk und der Tarbagataier Gegend, südlich des Baikalsees. Regelmäßig finden Besuche und Gegenbesuche der beteiligten Chöre statt, die einen regen kulturellen Austausch, insbesondere einen Austausch des Liedgutes mit sich bringen. Freundschaftliche Bindungen bis hin zu Deutsch-Russischen Hochzeiten sind im Verlauf dieser ungewöhnlichen Partnerschaft entstanden.

Über Jahrhunderte bewahrte Tradition

Das Ungewöhnliche an dieser „Liedbrücke“ ist, dass sie über ein gemeinsames Liedgut einen Bogen schlägt von Freiburg bis in das ferne Sibirien. Dort in Transbaikalien konnte sich eine Minderheiten-Kultur in ihren Grundzügen erhalten, die Kultur der sogenannten Altgläubigen oder „Semeiskie“, wie sie sich selbst nennen. Sie sind die direkten Nachfahren einer Glaubensgemeinschaft von Menschen, die im sechzehnten Jahrhundert nicht bereit waren, die Kirchenreform des Patriarchen Nikon mitzumachen. Sie wurden daraufhin verfolgt und nach Nordrussland und Sibirien verbannt. Dort, fern der Staatsmacht, bewahrten sie ihre dörfliche Lebensweise in Großfamilien (Semeiskie bedeutet „Die in Familien leben“), in Bräuchen und Trachten und vor allem in ihren Gesängen. Die religiöse Seite dieser Altgläubigen-Kultur fand einen Weg in das ferne Freiburg: Der Gründer des Russischen Chores der Albert-Ludwigs-Universität, Alexander Kresling, Emigrant aus St. Petersburg, brachte Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts einen reichen Schatz an geistlichen Gesängen aus Nordrussland mit nach Freiburg. Diesen hatte er in St. Petersburg und auf Pilgerzügen nach Nordrussland und in den Ural gehört und später in Freiburg aufgezeichnet. Dieser Liedschatz ging in Russland selbst im Laufe der sozialistischen Ära zum großen Teil verloren und wird nun in Freiburg bewahrt und in sängerischer Arbeit gestaltet. So finden nach fast einem Jahrhundert der alltägliche und der geistliche Teil einer Kultur zusammen, die erst unlängst von der UNESCO in den Katalog des „Nichtmateriellen Weltkulturerbes“ aufgenommen wurde.

Die Geburtsstunde

Die ersten Begegnungen, die diese ungewöhnliche Verbindung entstehen ließen, datieren aus dem Jahre 1988: Oesten Baller, Sänger des russischen Chores der Universität Freiburg, verbrachte ein Studienjahr in Irkutsk und lernte dort den Akademischen Chor der Universität kennen. Im Verlaufe dieser Zeit bot sich ihm die Möglichkeit, auf einem ausgedehnten Ausflug in die Tarbagataier Gegend auch die dortige ländliche Gesangskultur kennenzulernen. Unabhängig davon knüpfte Biruta Kresling, die Tochter des Chorgründers, Kontakte zu einem Altgläubigen-Ensemble und unternahm ebenfalls eine Reise nach Transbaikalien zu denselben Altgläubigendörfern. Diese Kontakte ermöglichten es dem Russischen Chor der Universität Freiburg, nach dem Ende des kalten Krieges, im August 1991, eine dreiwöchige Konzertreise nach Irkutsk, Ulán-Udé und zu den Altgläubigendörfern in Südburjatien zu unternehmen. Das Interesse an den „Deutschen, die alte russische Gesänge singen“, war enorm, es fand sogar ein Fernsehauftritt statt. Die Freiburger Sänger erlebten dabei hautnah die Wirren des Putsches gegen Gorbatschow mit, die Seele der in Freiburg einstudierten Lieder zeigte sich nun hautnah in eben den Menschen, denen diese Lieder eigentlich gehören und die ihre Kultur, ihren Glauben, ihre Identität auch über zahllose politische Wetterwechsel hinweg bewahrt hatten und wiederum bewahrten.

Begegnungen

Die alten und neu geschlossenen Freundschaften mündeten in Gegenbesuche der sibirischen Chöre in Freiburg: Im Juli 1992 gastierte der Akademische Chor der Universität Irkutsk für zwei Wochen in Freiburg, wo er unter anderem beim Zelt-Musik-Festival auftrat und auf großes Interesse beim Freiburger Publikum traf. Im Februar 1993 kam für zwei Wochen der Frauenchor des Altgläubigendorfes Kui-Tun, zusammen mit Sängerinnen aus der Stadt Ulán-Udé, nach Freiburg, und Ende Oktober 1993 war das Ensemble „Sudbinuschka" aus Tarbagataj in Freiburg zu Gast. Ein Höhepunkt der gemeinsamen Anstrengungen ist zweifellos der Wiederaufbau einer Altgläubigen-Kirche: In der Zeit des Stalinistischen Terrors waren die Semeiskie für die Ausübung ihres Glaubens verfolgt worden, die Kirchen wurden entweiht und verbrannt. In Transbaikalien stand keine einzige Altgläubigen-Kirche mehr. Schon bei den ersten Begegnungen keimte die Idee, mit Hilfe von Spendengeldern aus Deutschland eine neue Kirche zu erbauen, und tatsächlich wurde im Jahre 1998 im Dorfe Kui-Tún eine neue Kirche errichtet, in der auch wieder ein Priester tätig ist, und die ein geistliches Zentrum für die insgesamt 33 Altgläubigen-Dörfer der Region darstellt (siehe Fotos).
Im Herbst 1996 war es erneut das Altgläubigen-Ensemble „Sudbinuschka“, das diesmal für drei Wochen nach Deutschland kam und gemeinsam mit dem Russischen Chor der Universität Freiburg eine Konzertreise durch Deutschland unternahmen, mit Stationen in Hannover, Hamburg, Berlin etc. Im September 1999 ergab sich ein weiteres Treffen der beiden Chöre bei einem Trachtenfestival in Österreich, bevor dann im August 2000 der Russische Chor der Universität Freiburg erneut für drei Wochen nach Irkutsk und Tarbagataj reiste (siehe Fotos).

Danksagung

Die Tradition der gegenseitigen Besuche und Gegenbesuche mehrerer Chöre aus Transbaikalien konnte nur dank der tatkräftigen finanziellen Unterstützung seitens des Deutschen Musikrates und der Stiftung West-Östliche Begegnungen entstehen. Da es den Menschen in Sibirien oft schon am Alltäglichen fehlt und sie nicht in der Lage sind eine eigene Reise nach Deutschland finanziell zu tragen bzw. einen Chor aus Deutschland zu beherbergen, sind sie voll auf Unterstützung aus Deutschland angewiesen. Wir sind daher den genannten Stiftungen zu großem Dank verpflichtet.


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